Paul Collier gehört zu den Snooker-Schiedsrichtern, die schon sehr lange bei der Main Tour im Einsatz sind. Er gehört aufgrund seiner Erfahrung auch zum Rules Committee, das bei Bedarf die Snookerregeln präzisiert und anpasst. Seit einigen Jahren ist der 1970 geborene Waliser zudem als Turnierdirektor tätig.
Wie kam es dazu, dass sie Snookerschiedsrichter wurden?
Collier: Ich habe immer gern Snooker gespielt, merkte aber irgendwann, dass ich nicht gut genug war, um ein Topspieler zu werden. Ich suchte mir einen Trainer und der trainierte nur Leute, wenn die auch die Schiedsrichterprüfung ablegten. Ich war 15-16 Jahre alt und wollte unbedingt im Snooker involviert sein. Und so schlug ich diesen Weg ein.
Spielten sie auch Pool oder andere Billard-Varianten?
Collier: Nein, damals nicht. 1985/1986 war Snooker DIE Sportart in Großbritannien. Ein bisschen gab es auch noch englisches Pool, aber Snooker war am wichtigsten. Nunmehr spiele ich ein wenig Pool und English Billiards, aber Snooker ist schon meine Variante. Also wenn etwas anderes, dann eher English Billiards.
Als Schiedsrichter sind sie aber multi-aktiv.
Collier: Richtig. Ich freue mich, dass ich sowohl bei der Snooker-WM als auch der English-Billiards-WM und bei der Pool-WM schiedsen durfte. Ich war in allen Billardvarianten dabei. Das ist schon außergewöhnlich.
Wie lange sind sie nun schon bei der Main Tour?
Collier: Das ist meine 27.Saison. Also schon eine lange Zeit. Ich habe 1992 angefangen. Das war das gleiche Jahr, in dem Ronnie O’Sullivan, John Higgins und Mark Williams, die „Class of 92“, auf die Tour kamen. Jan Verhaas hatte auch sein erstes Jahr.
Wann und warum haben sie mit dem zweiten Job als Turnierdirektor angefangen?
Collier: Als ich nach einer Unterbrechung auf die Main Tour zurückkam. Bevor Barry Hearn zurückkam, lief es ja eine Zeit lang nicht gut auf der Main Tour. Es gab kaum Sponsoren und wenig Turniere. Ich konnte nicht mehr davon leben und so gab ich den Schiri-Job auf. Aber dann kam Barry und bat mich, zurückzukommen, weil er die Tour übernehmen wolle. Ich hatte während der Zeit auch weiterhin in der Premier League Snooker und den Matchroom-Events geschiedst. Aber es gab zu der Zeit, als ich zurückkam, nicht genug Turniere, um nur als Schiedsrichter arbeiten zu können. Und so ging ich einen Schritt weiter und begann, als Turnierdirektor tätig zu sein.
Was gefällt ihnen besser: Turnierdirektor oder Schiedsrichter?
Collier: Mir gefällt beides. Zuerst war ich sieben Jahre Vollzeitreferee und das war eine tolle Zeit. Ich liebe das Schiedsen nach wie vor. Aber jetzt gefällt mir auch die Abwechslung. Mal bin ich jetzt Schiedsrichter und mal Turnierdirektor. Ich denke, jeder macht in seinem Job auch gern einmal etwas anderes. Mir gefällt es jetzt sehr gut. Unter dem Strich bin ich aber mit Leib und Seele Schiedsrichter. Aber wenn man 15 Stunden am Tag am Tisch steht…, ich weiß, dass ich das nicht für ewig machen kann. Die Konzentrationsfähigkeit wird nachlassen. Und wenn ich das Schiedsen dann aufgeben muss, weiß ich aber, dass ich weiterhin als Turnierdirektor arbeiten kann.
Maximumbreaks sind immer etwas Besonderes. Wie ist das für sie als Schiedsrichter und wie viele haben sie schon geleitet?
Collier: Ich habe schon viele gesehen und vier geschiedst. Als Spieler wurde schon mal eins gegen mich gemacht. Ich denke, als Schiedsrichter ist es schön, wenn man sagen kann, man hat auch mal eine 147 geschiedst. Ansonsten ist es wichtig für die Spieler, es geht nicht um uns. Wir holen nur die Bälle raus und sagen den Score an. Es ist schön, wenn man es mal hatte. Hier in Fürth gab es ja nun schon zwei an einem Tag. Jemand führt auch eine Liste. Es gibt wohl drei Schiedsrichter, die schon sieben hatten, Jan hatte sechs, ich vier. Es ist immer toll, eins zu sehen, aber es hat für uns Schiedsrichter nicht so die Bedeutung. Als ich schon 21 Jahre als Schiedsrichter tätig war, war ich unzufrieden. Jeder andere hatte schon ein Maximum geschiedst, aber ich immer noch nicht. Dann hatte ich zwei innerhalb eines halben Jahres.

Was ist ihr ursprünglicher Beruf?
Collier: Ich habe in einem Snookerclub gearbeitet. Das war, als ich die Schule beendet hatte. Ich führte drei oder vier verschiedene Clubs. 1992 habe ich den Job dort dann im Sommer für eine längere Zeit unterbrochen. Das war okay, weil um diese Zeit sowieso nicht viel los war. Ich denke, der Clubbesitzer war froh, dass ich weg war, da musste er mich nicht bezahlen (schmunzelt). Etwa zur gleichen Zeit bekam ich in Blackpool allerdings auch einen anderen Job. Eine TV-Produktionsfirma übertrug das erste Mal Snooker und ich sollte bei den Regeln und beim Scoring helfen. Da sie zufrieden waren, boten sie mir einen Job über das Turnier hinaus an und schließlich blieb ich neun Jahre dort, neben meiner Tätigkeit als Schiedsrichter. Dann hatte ich mein eigenes Cafe für eine gewisse Zeit und ich arbeitete als Autoverkäufer… also unter dem Strich sehr abwechslungsreich.
Was für Interessen haben sie abseits des Snooker?
Collier: Eigentlich nur die Familie. Meine Frau und meine zwei Enkel in Spanien. Dort bin ich gern. Ich liebe Spanien und freue mich immer, nach Hause zu kommen. Durch diese schrecklichen Überschwemmungen ist ja das Indian Open auf nächstes Jahr verschoben worden, deshalb kann ich jetzt fast vier Wochen zu Hause bei meiner Familie sein, worauf ich mich sehr freue.
Die Main Tour braucht aufgrund der gestiegenen Zahl der Turniere wesentlich mehr Schiedsrichter als früher. Die PTC-Serie war eine gute Gelegenheit für die Auswahl, insbesondere für die europäischen Schiedsrichter. Wie findet man jetzt welche oder gibt es im Moment
genug?
Collier: Wir haben derzeit in der Tat einen großen Pool an Schiedsrichtern, die wir einsetzen können. Viele haben großes Potential, wirklich gute Referees zu werden. Wir setzen die europäischen Schiris beispielsweise hier in Fürth ein, um sich weiterzuentwickeln. Hier sind wenige bekannte Schiedsrichter dabei. Wir bekommen zudem laufend Mails aus anderen Ländern wie Bulgarien oder Rumänien: „Ich habe meine Prüfung bestanden. Ich komme aus…“. Wir versuchen, sie nach Großbritannien einzuladen und zu integrieren. Im Moment haben wir über 100 Schiedsrichter auf unserer Liste, die qualifiziert sind und die wir einsetzen möchten. Also haben wir da derzeit glücklicherweise keine Sorgen. Es wird aber nie ein Vollzeitjob sein.
Gibt es einen speziellen Moment als Schiedsrichter, den sie nie vergessen werden?
Collier: Das sind sicherlich die Finals. Das erste Finale, das ich leitete, was das der Welsh Open, und als Waliser war ich sehr stolz darauf, dass das Finale meines Heimturniers mein erstes Finale war. Die zwei WM-Finals, die großartig waren, drei Masters-Finale… all diese großen Turniere. Das ist es, wofür man arbeitet. Alle anderen sind schon abgereist, du bist noch der einzige Schiedsrichter vor Ort. Finals sind immer großartige Spiele, man hat nie ein schlechtes Finale. Das sind die wichtigsten Punkte in meiner Karriere.
Die Regeln sind immer wieder ein Punkt für Diskussionen. Werden sie permanent überprüft oder nur in bestimmten Zeitabständen?
Collier: Wir sind da immer dran. Ich freue mich, dass ich ein Mitglied im Rules Committee bin. Wir schreiben natürlich nicht das Regelbuch neu und können nicht viel verändern. Es geht heute vor allem um etwas anderes. Für uns als von Haus aus Englisch sprechende Personen machen alle Formulierungen Sinn. Snooker wird aber immer globaler. Wenn man das Regelbuch in andere Sprachen übersetzt, geht der ursprüngliche Sinn teilweise verloren. So versuchen wir, die Regeln auf die Basics zurückzuführen. Wir arbeiten z.B. mit Schiedsrichtern aus Deutschland, Belgien und China zusammen. Wir bekommen viel Feedback von ihnen, wie man es schreiben könnte. Wir wollen es einfacher verständlich machen, auch in anderen Sprachen. So haben mehr Leute etwas davon. Die Regeln sind sehr komplex. Spieler, die viele Jahre nur in Kneipen und Clubs gespielt haben, verstehen sie nicht richtig. Das ist nicht deren Fehler, sie sind einfach kompliziert. So geht es in erster Linie darum, sie zu vereinfachen und verständlicher zu machen. Wir bekommen kein Geld für die Arbeit im Rules Committee und es kostet einiges an Zeit, aber mir macht es Spaß und ich mache es gern. Und wenn wir nur eine Person damit erreichen können, die deswegen Schiedsrichter geworden ist, dann haben wir unser Ziel erreicht.
Was ist am Schwierigsten an ihrem Job als Turnierdirektor?
Collier: Es ist nicht schwierig, man muss nur die Kontrolle behalten. Das ist wie beim Schiedsen. Es gibt immer wieder schwierige Situationen. Man kann kein Handbuch schreiben: „Wie werde ich Turnierdirektor“. Man weiß nie, was passieren wird. Wie vor drei oder vier Jahren in Riga, als es zu regnen begann und der Regen auf den Tisch tropfte. Das Spiel musste also unterbrochen werden. Da gibt es keine allgemeingültige Regel, wie man mit solchen Situationen umgeht. Es gibt ja den Spruch: „Es gibt keine Probleme, nur Lösungen.“ Man muss damit leben und einen Ausweg finden. Und die Spieler sind da auch sehr flexibel. Es gibt Sachen, die sind einfach. Und bei den Komplizierteren wie Regen auf dem Tisch oder das Scoreboard fällt aus, dann findet man eine Lösung.
Bei den Turnieren in China klingt Schiedsrichterin Peggy Li (ebenfalls China) immer sehr streng, wenn sie mit dem Publikum spricht. Sollten die anderen Referees nicht auch ein paar chinesische Wörter lernen? Das Publikum wäre bestimmt sehr beeindruckt.
Collier: (schmunzelt) Nein, aber das kann ich auch erklären. Ich bin fünf- oder sechsmal pro Jahr in China. Ich bin gern dort, aber sie haben eine ganz andere Kultur als wir. Genau wie in Deutschland. Deutsche Fans sind auch anders. Deutsche Snookerfans sind wundervolle Menschen. Sie gehen sehr mit und sind sehr enthusiastisch. Aber wenn gespielt wird, verhalten sie sich perfekt. Sie respektieren die Spieler und sind still. Die Chinesen machen das nicht. Sie sind genauso enthusiastisch dabei und bleiben es auch während des Spiels. Sie lassen sich ungern was sagen. Sie legen ihre Handys nicht weg, sie fotografieren, sie sprechen, wenn sie es nicht sollten… Es ist schwierig. Sie machen das nicht absichtlich, es ist einfach ihre Kultur.
Peggy ist da sehr gut. Sie hat es einfacher, sie spricht die Sprache. Das Schwierige am Chinesischen ist nicht, die Wörter zu lernen, sondern sie richtig zu betonen. Wenn man das gleiche Wort auf vier oder fünf verschiedene Arten ausspricht, hat es auch vier oder fünf verschiedene Bedeutungen. Die Schiedsrichter haben die Befürchtung, wenn sie die Wörter lernen und dann falsch betonen, jemanden zu beleidigen. Und so schiedsen wir nur. Normalerweise haben wir chinesische Schiedsrichter im Publikum, die auf das Verhalten achten. Unabhängig davon hätte ich mehr Sprachen lernen sollen. Ich hatte Französisch und Deutsch in der Schule, habe es aber nicht weiterverfolgt. Nun komme ich so oft nach Deutschland und ärgere mich, dass ich mich nicht auf Deutsch unterhalten kann. Aber man muss auch die Zeit dazu haben, die Sprachen zu lernen. Wenn ich nicht arbeite, bin ich bei meiner Familie. Aber vielleicht fange ich doch noch damit an, eine Sprache zu lernen. Ich bin ja auch stolzer Waliser, spreche aber kein walisisch. Das würde ich auch gern lernen.
Wird das nicht an der Schule gelehrt?
Collier: Nicht zu meiner Zeit. Wir hatten Französisch und Deutsch. Damals gab es auch keine walisischen Fernsehkanäle. Walisisch drohte auszusterben. Meine Schwester ist neun Jahre jünger, sie ging an die gleiche Schule und durfte dann auch Walisisch lernen. Und meine Enkelin ist neun und kann eine ganze Unterhaltung auf walisisch bestreiten. Ich freue mich, dass unsere Sprache wiederbelebt wurde. Aber ich bin im Moment zu faul, es zu lernen.
Fotos: Helga Ackermann