Portrait 2014: Wie Michaela Tabb als Billard-Schiedsrichterin zum Weltstar wurde

Michaela Tabb ist sicherlich eine der interessantesten Figuren in der Snooker- und Pool-Billard-Szene. Sowohl bei Fans als auch Spielern erfreut sich die 45-jährige aufgrund ihrer charmanten, aber auch resoluten Art großer Beliebtheit. Seit mittlerweile 16 Jahren schiedst die Schottin beim Pool-Billard und seit zwölf Jahren auch bei der Snooker Main Tour. Natürlich gibt es einiges zu erzählen von der Frau, die für viele Nachfolgerinnen, die nun in den Startlöchern stehen, den Weg geebnet hat.

Sie haben Ihre Karriere als Schiedsrichterin Mitte der 90er begonnen. War es ihr Ziel, Schiedsrichterin zu werden, als sie damals anfingen, Pool zu spielen? Erzählen sie uns bitte etwas über den Anfang ihrer Laufbahn.

Tabb: Ich habe damals nur hobbymäßig Pool – genauer gesagt Blackball – gespielt, aber Schottland dennoch international vertreten. Mein Ehemann organisierte schon damals diverse Turniere. Als ein internationales Turnier in Schottland anstand, waren hierfür Schiedsrichter vorgeschrieben. Diese sollten eigentlich aus England verpflichtet werden. Da sagte mein Ehemann, dass man doch auch welche aus Schottland nehmen könne und schlug mich vor. So bin ich dazu gekommen. Es war nie mein Plan. Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt.

Sie reisen nun seit vielen Jahren als professioneller Schiedsrichter rund um die Welt. Sind sie gerne unterwegs?

Tabb: Ich fliege gern, das ist ein Vorteil. Ich genieße es. Wenn man allein verreist, ohne Familie und damit Verpflichtungen für die Kinder und alles, kann man den Flug genießen. Die Füße hochlegen, einen Film schauen, entspannen. Der Nachteil sind sicher die Hotels, wenn man dann dort allein im Zimmer ist. Das ist häufig nicht so schön.

Haben sie eine Gegend, wo sie besonders gern sind? Asien vielleicht?

Tabb: Ach, es gibt viele schöne und interessante Gegenden. In Asien ist das Essen häufig ein Problem. Ich bin auch gern in den USA. Doch es ist häufig nicht so einfach, wenn man auf gesunde Ernährung achten möchte.

Wer kümmert sich um die Kinder, wenn sie unterwegs sind?

Tabb: Mein Ehemann und ich haben eine Firma, die Turniere organisiert. Wir arbeiten von zu Hause und so teilen wir es uns immer so ein, dass einer da ist, der sich um die Kinder kümmert. Aber wenn Not am Mann ist, sind da auch immer noch die Großeltern, die einspringen können.

Interessieren sich Ihre Kinder für Billard?

Tabb: Ja, sie spielen Pool, allerdings nur als Hobby. Wir haben auch einen Pooltisch im Haus. Jetzt, als wir zwei Wochen im Urlaub waren, haben sie mit großer Begeisterung jeden Tag gespielt. Wir werden sehen, wie sich das jetzt weiterentwickelt.

Schauen sie zu, wenn sie im Fernsehen zu sehen sind?

Tabb: Nein, das interessiert sie nicht so sehr.

Wie war es, die erste Schiedsrichterin im Snooker zu sein?

Tabb: Es war eine riesige Herausforderung, denn Snooker ist sehr traditionell. Einige argwöhnten auch, ich wäre aus den falschen Gründen im Einsatz. So war es mein Ehrgeiz, mir selbst zu beweisen, dass ich es kann und dorthin gehöre. Ich musste doppelt so gut sein wie die anderen (männlichen) Schiedsrichter. In der ersten Zeit war es harte Arbeit, aber so nach zwei Jahren konnte ich es auch genießen. Und mit meiner Arbeit habe ich auch den Weg bereitet für die Frauen, die jetzt dazukommen.

Fühlen sie sich als Vorbild für diese?

Tabb: Ja, und ich bin sehr stolz darauf. Es ist fantastisch zu sehen, dass es weltweit immer mehr Schiedsrichterinnen gibt.

Wie sehen sie sich selbst innerhalb der Snookerszene?

Tabb: Wie eine Mutter. Ich kümmere mich um meine Jungs und beschütze sie. Die Arbeit macht mir viel Spaß. Ich war als erste Schiedsrichterin wie eine frische Brise in diesem Sport.

Können sie von Ihrer Tätigkeit leben?

Tabb: Ich bin eine der wenigen, die es kann. Ich gehöre mit ein paar anderen zur Kernmannschaft von Worldsnooker und wir können davon leben. Es funktioniert für mich und meine Familie. Als Schiedsrichter/in kann man aber nicht reich werden. So groß ist das Budget dann auch wieder nicht.

Sprechen wir nun über die Main Tour. Wie ist ihre persönliche Meinung zu den aktuellen Veränderungen?

Tabb: Als Barry Hearn vor wenigen Jahren zurückkam, gab es viele Veränderungen. Die PTCs, viele andere neue Turniere. Manchen Spielern wurde das alles zu viel. Ronnie O’Sullivan und Stephen Hendry sind zwei Beispiele. Etliche Spieler, die sich zuerst über zu wenig Turniere beklagten, stöhnen jetzt über die vielen. Doch man muss viele verschiedene Wege ausprobieren, um den richtigen zu finden.

Da scheint es jetzt wesentlich mehr Arbeit für die Schiedsrichter zu geben?

Tabb: Nicht mehr Arbeit für den Einzelnen. Es gibt jetzt wesentlich mehr Schiedsrichter aufgrund der größeren Zahl der Turniere.

Können sie sich auch Turniere auswählen?

Tabb: Aussuchen kann man sich das nicht, wo man eingesetzt wird. Man bekommt es von Worldsnooker zugewiesen.

Hier in Deutschland werden sie als „Gesicht des Snooker“ gesehen. Jeder, der Snooker auf Eurosport schaut, kennt sie. Spüren sie das, wenn sie hier bei Turnieren sind?

Tabb: Ja, und ich genieße es. Das Publikum ist immer sehr enthusiastisch. Es ist von Anfang an dabei und applaudiert schon beim Anstoß. Das ist besser als in China, absolut großartig. Die Atmosphäre ist immer toll. Die nächste Frage ist sicher die nach dem Tempodrom, weil ich es auch schon gelobt hatte.

Ja. Was ist so toll daran?

Tabb: Das Crucible in Sheffield ist sehr intensiv. Es ist klein und man spürt dadurch jede Reaktion unmittelbar. Das Tempodrom ist das genaue Gegenteil: es ist riesig, mit bis zu 2.000 Zuschauern. Es ist laut und eine tolle Kulisse. Als ich hörte, dass das German Masters nach Berlin ins Tempodrom geht, war ich total aufgeregt. Ich kannte es ja schon von Exhibitions. Die Spieler konnten sich absolut darauf freuen.

Werden sie auch diesmal wieder in Berlin dabei sein? Oder bei einem der PTCs?

Tabb: In Berlin glaube ich nicht. Ich war dort die letzten zwei Jahre und Worldsnooker vergibt die Jobs immer wechselnd. Ich bekomme meinen Einsatzplan auch erst Anfang September, so dass ich jetzt noch nicht weiß, wo ich tätig sein werde.

Was war ihre schönste Erinnerung oder Erfahrung während eines Matches?

Tabb: Oh, da gibt es so viele Momente! Vielleicht das erste Mal, als ich im Crucible geschiedst habe. Es sollte das erste Mal sein, dass eine Frau dort ein Match leitet. Das Publikum wusste von nichts. Ich stand im Tunnel hinter dem Vorhang und hörte den MC sagen: „She …“ Da ging ein Raunen durchs Publikum. Das war ein besonderer Moment.

Und was ist die schrecklichste Erinnerung?

Tabb: Auch bei der WM. Es war eine 10-Uhr-Session und Morning Sessions liegen mir nicht, genauso wenig wie vielen Spielern. Es war das Match Dott gegen Maguire. Maguire hatte wirklich zu kämpfen in der Phase und war endlich in einem Break. Ich wollte Grün respotten, war aber abgelenkt, weil ich im Publikum jemanden ermahnte, den Ohrhörer leiser zu stellen. Und da griff ich statt der Grünen den Cueball. Graeme sagte leise zu mir: „Michaela, Du hast den Cueball.“ Natürlich lachten alle und Maguire machte noch den einen oder anderen Spruch. Aber das war wirklich ein schrecklicher Moment.

Haben sie nebenher noch Zeit für Hobbys?

Tabb: Wenn ich zu Hause bin, steht die Familie an erster Stelle. Mit denen verbringe ich dann meine Zeit. Dazu gehören auch meine Eltern und meine Schwester. Wir treffen uns auch gern zum Kartenspielen.

Spielen sie selbst noch Snooker oder Pool?

Tabb: Dazu habe ich keine Zeit mehr. Snooker hatte ich sowieso nur etwas gespielt, um im Pool besser zu werden. Aber wenn ich zukünftig mehr Zeit habe, werde ich mit ein paar Freundinnen wieder anfangen zu spielen.

Zukunft ist ein gutes Stichwort. Wie sehen ihre Pläne aus?

Tabb: Ich werde nicht mehr allzu lange schiedsen. Die Männer machen das noch, wenn sie schon grau oder weißhaarig sind, aber das mache ich auf keinen Fall. Da wird keine grauhaarige Lady am Tisch tätig sein. Ich würde dann gern in der Organisation der Turniere arbeiten. Ich bin jetzt 45 und mit 50 werde ich sicher nicht mehr schiedsen. Also irgendwann zwischen jetzt und dann höre ich auf.

Michaela, vielen Dank für das Interview.

Tabb: Das habe ich gerne gemacht.

Michaela Tabb

Als Schiedsrichterin zum Weltstar

World Snooker hatte in seiner langen Geschichte schon viele seltsame Ideen, aber diese gehörte nicht dazu, sondern war ganz im Gegenteil eine der besten: im Jahr 2001 fragte man bei Michaela Tabb an, ob sie sich vorstellen könnte, auch als Snooker-Schiedsrichterin auf der Main Tour zu arbeiten. Sie sagte zu und ein Jahr später leitete sie mit der Begegnung zwischen Ken Doherty und James Wattana ihr erstes Match in der ersten Runde der Welsh Open.

Die Tätigkeit als Schiedsrichterin war der 1967 in Bath geborenen Schottin nicht unbekannt, da sie schon seit Mitte der 90er als Poolbillard-Referee tätig war. Ihre vorherige, recht erfolgreiche Karriere als Blackball-Spielerin kam ihr da sicher zugute. Sie war von 1992-2003 im Nationalteam ihrer schottischen Heimat und gewann u.a. den UK-Titel 1997 und den EM-Titel 1998.

Damals konnte sie noch nicht ahnen, dass sie eines Tages zu den beliebtesten und renommiertesten Schiedsrichtern der Snooker Main Tour gehören sollte. Und gemeinsam mit Eirian Williams und Jan Verhaas bildet sie heute die Kernmannschaft der Referees bei World Snooker. Bei den Spielern und auch bei den Zuschauern brachte ich das respektvoll den Spitznamen „The Lady-Ref“ ein.

Michaela Tabb konnte sich nach ihrem ersten Auftritt bei der Main Tour weiter ins Geschichtsbuch eintragen: sie war die erste Frau, die ein Finale eines Ranglistenturniers leitete (Welsh Open 2007) und schließlich auch das Finale der Weltmeisterschaft (2009). Im Jahr 2012 durfte sie noch einmal das Endspiel im Crucible schiedsen, sagte aber schon, dass es wohl ihr letztes WM-Finale sei. Da es jetzt eine große Zahl hochqualifizierter Schiedsrichter gebe, müsse sie recht lange warten, bis sie wieder an der Reihe sei, und im „hohen Alter“ wolle sie sich das nicht mehr antun.

Doch bis sie in Rente geht, wird sie mit ihrer charmanten und doch bestimmten Art noch so manches Main Tour-Match leiten und ihm das gewisse Etwas geben. Und auch beim Mosconi Cup wird sie sicher noch einige Jahre ein wachsames Auge auf das Spielgeschehen haben. In der hitzigen Atmosphäre, die speziell bei den europäischen Heimspielen in der Londoner York Hall aufkommt, hat sie stets die Spieler und – was viel wichtiger und schwieriger ist – die Zuschauer im Griff.

Aber ihr Leben spielt sich nicht nur am grünen bzw. blauen Tisch ab. Viel Zeit widmet Michaela Tabb auch ihrer Familie. Gemeinsam mit Ehemann Ross McInnes und ihren zwei gemeinsamen Söhnen Morgan und Preston lebt sie im schottischen Dunfermline. Sie genießt gern die schönen Seiten des Lebens, mag italienisches Essen und einen Rosé bei passender Gelegenheit. Sie spielt gern Poker und auch Videospiele und liebt ebenso das Lesen.

Übrigens, auf die Frage nach ihrer Lieblings-Venue steht das Tempodrom in Berlin inzwischen gleichwertig mit dem Sheffielder Crucible auf Platz 1.

Fotos: Helga Ackermann / Matchroom

Portrait

Geburtsdatum: 11.12.1967
Nationalität: schottisch
Wohnort: Dunfermline/Schottland
Familie: verheiratet mit Ross McInnes, zwei Söhne Morgan und Preston
Pool-Schiedsrichterin: seit 1995, seit 1997 regelmäßig bei Matchroom Sports
Snooker-Schiedsrichterin: seit 2001, darunter WM-Finale 2009 und 2012
Größte Erfolge als Spielerin: Blackball-Europameisterin 1998, Blackball Britische Meisterin 1997
Lieblingsessen: Italienisch
Lieblingsgetränk: Kaffee und auch gerne mal einen Wein
Lieblingsautoren: Peter James, James Patterson und Simon Kernick
Lieblingsfilm: Die Verurteilten (Sohn Morgan wurde nach Morgan Freeman benannt)
Lieblingsmusik: Alle Richtungen
Lieblings-Venue Snooker: Crucible in Sheffield wegen der Intimität und das Tempodrom in Berlin wegen seiner Stimmung
Lieblings-Venue Pool: Überall auf den Philippinen und die York Hall in London
Schlechte Gewohnheit: Zu spät kommen und alles auf den letzten Drücker machen
Website: www.michaelatabb.com