Chris Melling war vor Jahren schon einmal auf der Snooker Main Tour gewesen, es aber müde geworden, nicht über die Qualifiers in Prestatyn hinauszukommen. So wendete er sich dem Poolbillard zu, wo er gute Erfolge verzeichnen konnte. Doch nun reizte ihn das Abenteuer Snooker wieder und so versuchte er bekanntlich in der Q School sein Glück. Seit Beginn der Saison hat er ein Zwei-Jahres-Ticket für die Profitour und wir hatten jüngst die Gelegenheit zu einem Interview. Dabei gewährte uns der Brite einen ungewöhnlich offenen Einblick in sein Seelenleben.
Wie fühlt es sich für Dich an, zurück auf der Main Tour zu sein?
Melling: Es fühlt sich großartig an, besonders, nachdem ich sechs Jahre oder so gar nicht gespielt hatte. Ich habe Snooker im Fernsehen geschaut und dachte mir, dass ich es noch einmal versuchen will, da es auch immer weniger Turniere im Pool werden. Ich startete bei der Q School und habe mich gleich im ersten Anlauf qualifiziert, was ein großer Erfolg ist, wenn man so lange nicht gespielt hat.
Also ist Pool-Billard erstmal ad acta gelegt?
Melling: Nein, ganz sicher nicht. Im Snooker gibt es derzeit schlicht mehr Preisgeld und mehr Turniere als im Pool. Ich glaube auch, dass es professioneller organisiert ist und man das Preisgeld – anders als bei den US Open zum Beispiel – pünktlich bekommt. Es ist eine Schande, dass die Spieler darum kämpfen müssen.
Wie sieht es jetzt mit dem Preisgeld aus? Besser als beim Pool?
Melling: Das Preisgeld im Snooker ist in einer anderen Liga. Wenn man als Beispiel die Pool-Eurotour nimmt: Das Startgeld sind 150 Euro, mindestens das gleiche für das Hotel, dazu noch der Flug, An- und Abreise zum Flughafen. Da kommt man locker auf 600 bis 700 Euro, bevor man überhaupt einen Ball gelocht hat. Und man kann maximal 3.400 Euro verdienen. Das ist ein Gewinn von ungefähr 2.700 Euro. Im Snooker kostet jedes Ranglistenturnier (ausgenommen die PTCs) an Startgeld ungefähr 200 Pfund, dazu noch 30 Pfund Spritkosten und das war’s. Wenn ich mein erstes Match gewinne, bekomme ich mindestens 1.500 Pfund und bei den meisten Turnieren sind es sogar 3.000 Pfund. Das ist der Hauptgrund, warum ich wieder zum Snooker gegangen bin. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es war nicht wegen des Geldes.
Denkst Du, dass auch andere Poolspieler einen Wechsel versuchen sollten und welche Chancen hätten sie?
Melling: Ich sehe es eigentlich nicht, dass andere Poolspieler es ernsthaft versuchen. Etliche Poolspieler haben keine besonders gute Technik und auch schlechte Grundlagen, was sich besonders unter Druck zeigt. Die einzigen Spieler, die vermutlich ganz gut wären, sind Karl Boyes und auch Niels Feijen, der ein gutes Ballgefühl hat.
Bist Du mit den ersten Snookerturnieren dieser Saison zufrieden?
Melling: Ich bin damit zufrieden, wie die Dinge im Moment laufen. Es ist eine Zwei-Jahres-Rangliste, so fehlen mir automatisch für ein Jahr die Punkte. Ich habe schon ein paar Topspieler geschlagen, daher wissen sie nun, dass ich nicht nur dabei bin, um das Feld aufzufüllen. Ich habe bereits Matthew Stevens, Joe Perry, Peter Ebdon. Luca Brecel, Cao Yupeng und viele andere gute Spieler in diesem Jahr geschlagen. Ich war enttäuscht, als ich vor ein paar Wochen (in Mülheim, Anm. d.Red.) gegen Stephen Maguire verloren habe. Er schlug mich mit 4:2, nachdem er mit Glück das 3:2 geschafft hatte. Aber das ist Snooker.
Es gibt aber auch Leute, die Dir vorwerfen, ein wenig nachlässig mit Deinen Chancen und Möglichkeiten umzugehen.
Melling: Ja, da muss ich zustimmen, dass ich manchmal im Spiel ein bisschen nachlässig bin, aber das macht mich eben aus. Man weiß nie, was als nächstes kommt. Deshalb wird auch Ronnie O’Sullivan so geliebt. Die Leute wissen nie, was sie zu sehen bekommen. Ich liebe es, die Fans und das Publikum zu unterhalten. Dafür haben sie schließlich Eintritt bezahlt.
Wie hat sich Snooker im Vergleich zu Deiner ersten Profi-Saison verändert?
Melling: Snooker hat sich in dieser Zeit schon verändert. Das allgemeine Niveau ist wesentlich besser geworden und es gibt viel mehr Turniere. Und die Spieler scheinen heute auch ein besseres Verhältnis zueinander zu haben. Früher war eher jeder für sich.
Es scheint, dass alle Billardspieler Großbritanniens eine große Gemeinschaft bilden. Täuscht der Eindruck?
Melling: Nein, gar nicht. Die britischen Spieler so ziemlich aller Billardvarianten verstehen sich sehr gut. Wir haben viel Spaß miteinander.
Du spielst hin und wieder auch Poolturniere. Hatte der höhere Anteil Snookertraining schon einen Einfluss auf Dein Pool-Spiel?
Melling: Bis auf die letzten sechs Jahre habe ich immer Pool und Snooker parallel gespielt. Snooker hilft mir dabei, die Bälle genauer zu lochen. Da kann man nicht wie im Pool 12 Inches daneben liegen und der fällt immer noch. Aber ich denke, dass auch Pool mir hilft und zwar bei der taktischen Seite des Spiels. Das ist der wirklich schwierige Teil des Spiels, den viele Menschen nicht verstehen.
Wie ist es eigentlich, zwischen Pool und Snooker in so kurzer Zeit hin- und herzuwechseln? Vor wenigen Tagen noch die große Bühne des World Pool Masters mit dem Halbfinaleinzug und dann „etwas“ kleiner das ET in Mülheim.
Melling: Ach, das Wechseln zwischen den beiden Varianten fiel mir immer leicht. Ich erinnere mich, dass ich vor Jahren an einem TV-Turnier im English Pool teilnahm. Am gleichen Abend fand aber auch 20 Meilen entfernt ein Snookerturnier statt, wo ich auch spielte. Ich kam zu spät und hatte deshalb schon einen 0:3-Rückstand. Ich packte mein Queue aus und machte Breaks von 131, 132, 138 und 69 und gewann mit 4:3. Das war gut.
Du hast auch in Fürth teilgenommen. Hast Du dort einige Bekannte aus Deiner Zeit in der Pool-Bundesliga getroffen?
Melling: Ja, ich habe einige gute Freunde getroffen. Ich habe mich sehr gefreut, sie wiederzutreffen. Das ist eben das Schöne am Reisen ins Ausland: Du lernst neue Leute kennen. Die Fans und Spieler in Deutschland sind großartig. Sie unterstützen Dich sehr gut und man fühlt sich willkommen.
Die Turniere in China sind immer große Ereignisse. Roter Teppich, Eröffnungszeremonie – alle Spieler sind große Stars. Wie ist das dort eigentlich bei Poolturnieren?
Melling: Die Snookerspieler werden dort wie Superstars behandelt. Du kannst nirgendwo hin gehen, ohne um ein Autogramm gebeten zu werden. Die Leute warten in der Lobby den ganzen Tag auf Dich, nur um ein Foto zu bekommen. Im Pool ist es ähnlich, aber nicht ganz so extrem.
Gefallen Dir die kleineren Turniere der European Tour?
Melling: Die PTC Turniere sind großartig. Sie geben allen Spielern eine gute Matchpraxis für die größeren Turniere. Und sie geben den jüngeren und unerfahreneren Spielern die Chance, gegen die Topspieler anzutreten.
Noch einmal ein kurzer Blick zurück zum Pool: England hat jetzt eine große Zahl von sehr guten Spielern. Noch vor 10-15 Jahren war England nahezu ein No-Name im Pool. Was ist passiert?
Melling: England hatte damals einfach nicht so viele Spieler beim American Pool. Wir haben alle English 8-Ball gespielt. Ich denke, Steve Knight und Daryl Peach waren die ersten, die sich da einen Namen machten, aber den Durchbruch brachte Darren Appleton. Er ist der Grund, warum ich mit American Pool anfing. Ich denke, die Grundlagen der englischen Spieler sind besser als die vieler anderer, weil wir auf enge Taschen spielen. Das zeigt sich besonders unter großem Druck. Viele Europäer stehen neben dem Stoß, der Kopf ist nicht am Queue und sie springen beim Stoß. Alles Dinge, die man nicht tun sollte. Aber Europa hat auch viele großartige Spieler. Ich denke, ich könnte das Spiel vieler verbessern, wenn ich rüberkommen und Trainerstunden geben würde. Es sind die kleinen Dinge, die den Unterschied machen.
Im Jahr 2012 warst Du MVP beim Mosconi Cup, im darauffolgenden Jahr hast Du noch nicht mal eine Einladung bekommen. Wie hast Du Dich da gefühlt?
Melling: Ja, der MVP im Jahr 2012. Eigentlich hatte ich das nicht verdient. Johnny Archer hätte ihn bekommen müssen, weil er alle seine sechs Spiele gewonnen hatte. Aber sie vergeben ihn immer ans Siegerteam und ich brachte den entscheidenden Punkt beim 9:9. Das war einer meiner größten Erfolge und gleichzeitig eine meine größten Enttäuschungen, als ich im Folgejahr nicht eingeladen wurde. Ich bin die einzige Person in 20 Jahren, die MVP war und nicht wieder ins Team kam. Ich habe unterschiedliche Gründe dafür gehört, aber ich lasse es nun auf sich beruhen und lebe damit. Ich weiß, dass viele andere das, was ich unter diesem Druck im Spiel geschafft habe und was in diesem und den zwei Jahren zuvor abseits des Tisches bei mir passiert ist, nicht hätten leisten können.
Es wissen nicht viele Leute, aber ich freue mich, dass ich jetzt die Gelegenheit habe, es öffentlich zu machen. Ich denke, es ist die richtige Zeit dafür. Meine Mutter starb an Lungenkrebs und einem Gehirntumor. Es wurde erst drei Wochen vorher festgestellt. Innerlich war ich tot. Ich wünschte, ich wäre an ihrer Stelle gestorben. Sie und mein Vater haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Mein Manager und guter Freund hatte einen Herzanfall vor meinen Augen und verstarb. Einem anderen guten Freund von mir passierte dasselbe. Mein bester Freund verstarb bei einem Autounfall, ein anderer Freund stürzte während eines Urlaubs in Mexiko von einem Gebäude in den Tod. Meine Freundin hatte einen Autounfall. Das Auto überschlug sich dreimal. Sie war schwanger und wir verloren das Baby. Dann hatte mein Vater auch noch vier Schlaganfälle in den letzten zwei Jahren und verlor sein Gedächtnis fast komplett, aber es kommt langsam zurück.
Letzten Mai war ich an einem Punkt, an dem ich nicht mehr wollte: kein Pool, kein Leben, ich hatte genug. Ich konnte nur noch an eine Sache denken und ja, das war mein Leben zu beenden. Ich konnte nicht mehr damit umgehen. Ich war in Vegas und Daryl Peach fragte mich, ob ich okay sei. Ich brach in Tränen aus, weil ich nicht wusste, was mit mir passierte. Ich war zu einer gewalttätigen Person geworden und trank viel zu viel. Ich erklärte ihm alles und er verstand es. Er half mir wirklich, denn ich verließ dieses Hotelzimmer in Vegas zwei Tage überhaupt nicht. Die meisten Leute kommen dort zwei Tage lang überhaupt nicht in ihr Zimmer und ich…
Es war die schlimmste Erfahrung meines Lebens. Ich war bei Ärzten usw. und sie sagten mir, ich hätte eine schwere Depression. Es war keine Überraschung für sie, als ich ihnen erzählte, was ich alles erlebt hatte. Das ist, was ich Druck nenne. Das wünsche ich nicht meinem schlimmsten Feind.
Chris, vielen Dank für dieses Interview und die sehr offenen Worte. Viel Erfolg für die Zukunft wünschen wir Dir!
Melling: Vielen, vielen Dank
Foto: Stefan Hoffmann